MEXIKO III
Yucatán (1982)
Von Belize kommend bei Chetumal wieder in Mexiko eingereist. Nachtfahrt nach Mérida, gleich weiter nach Chichen Itzá: So heiß, wie befürchtet, dazu blüht der Nepp. Beeindruckend ist die Ruinenstadt aber trotzdem. Als dann allerdings die Sonne und der Zustrom amerikanischer Touristengruppen zu stark werden, ziehe ich mich langsam zurück und spanne meine kürzlich erworbene Hängematte im Schatten auf.
Viele der Reisenden auf der Fähre zur Isla Mujeres kennen sich schon von anderen Begegnungen entlang des Touristentrampelpfades. Mir bleibt das allgemeine Hallo erspart, da ich aus der entgegengesetzten Richtung komme.
Das Schnorcheln ist toll, denn das Wasser ist das klarste, das man sich vorstellen kann und diese Farben: intensives Türkis und Blau. Jetzt im September sind nicht mehr allzu viele Touristen da, manche Strände sind fast menschenleer. Typisch mexikanisch habe ich auf der Insel allerdings nichts mehr finden können.
Mit Laura und Daniel, argentinischen Geschwistern, die mit ihren Eltern nach dem 1976er Putsch geflüchtet sind, nach Tulum gefahren, die Maya-Stadt, welche, anders als alle anderen Maya-Fundstätten, direkt am Meer liegt. Wir nehmen unter den Ruinen ein herrliches Bad in der Karibik.
Zurück in Cancún, dem Traumurlaubsziel vieler Mexikaner aber auch Amerikaner, gönnen wir uns ein gutes Abendessen. Obwohl wir Spanisch sprechen, gibt uns der Kellner englische Speisekarten und versucht auch, auf Englisch zu konversieren, denn wir sind als Touristen identifiziert.
Daniel lebt in Madrid, Laura mit ihrer Familie noch in Mexiko, möchte aber unbedingt weg. Sie erzählen mir viel von Mexiko: von der Gesetzlosigkeit bzw. dem Gesetz des Geldes und des Standes, das in Mexiko herrsche; von den extremen sozialen Klassenunterschieden und Standesdünkeln, die kaum einen Wechsel in eine andere Schicht zulassen; vom Erziehungssystem, das im Argen liege, kein liberales Gedankengut vermittle sondern nur bestehende Hierarchien tradiere; davon, dass Frauen nicht ernst genommen würden und dass diese Einstellung auch unter Studenten kaum anders sei.
Holbox
Auf der Überfahrt auf die „Isla de los Dioses“, wie Holbox auch genannt wird, sehe ich erstmals in meinem Leben Flamingos in freier Wildbahn, sogar eine ganze Schar davon. Allerdings scheitere ich mit dem Versuch, mit den anderen Passagieren, offenbar Bewohnern der Insel, ein Gespräch zu führen. Abgesehen von einem Ja oder Nein bringen sie kaum etwas über die Lippen. Drüben angekommen benötige ich einige Anläufe und etwas Glück, um ein Zimmer in einer Hütte mieten zu können, in der ich meine Hängematte aufspannen kann.
Die Menschen sind nach wie vor sehr kühl und zurückhaltend, fast abweisend. Ob das mit dem Leben auf der Insel zu tun hat, wo sie die meiste Zeit unter sich sind? Der erste freundliche, ja sogar herzliche Mensch ist der Mechaniker aus dem Nebenzimmer, der auf der Insel ist, um Bootsmotoren zu überholen. Er trinkt gerne Bier und suchte offenbar einen Kumpanen. Mir soll‘s recht sein, bringt er doch auch das Material mit…. Ein Fischer macht ihm einen „Ceviche de Caracol“ – rohe, mit Limettensaft marinierte Meeresschnecken, mit Zwiebel und Kräutern verfeinert -, den er mit mir teilt. Ein Leckerbissen, den ich hier das erste Mal kosten darf! Die großen, spiralförmigen Häuser der Schnecken sehe ich später zu Hunderten am Strand.
Mérida
Es ist sehr heiß, trotzdem werde ich mit der Stadt nicht warm. Beim Besuch der Kathedrale schwanke ich wieder einmal zwischen ehrfürchtiger Verwunderung und Unmut. Ehrfurcht vor dem tiefen (Wunder)Glauben vieler Mexikaner: Nicht nur, dass die Marienstatue mit Blumen überhäuft ist; viele beten und berühren die Statue um dann diese Hand voller Hoffnung und Glauben an Stellen ihres Körpers zu führen, die offenbar krank sind. Selbstverständlich hinterlassen sie auch alle ihren Obolus, obwohl sie offensichtlich niedrigen sozialen Schichten angehören. Unmut einerseits wegen der vielen Bettler, die die Kirchentüre belagern um die günstige Stimmung auszunützen; vor allem aber wegen der Menschen, die ihren Obolus an die Kirche abliefern, statt das Geld den wirklich Bedürftigen zu spenden. Ich habe jedenfalls keinen Einheimischen gesehen, der den Bettlern etwas gegeben hätte. Alle erscheinen sie mir lethargisch, wartend auf Almosen von oben: Die in der Kirche knien ebenso wie jene, die davor sitzen.
Octavio Paz, mexikanischer Literaturnobelpreisträger und Diplomat, schreibt vom Stoizismus als höchster Tugend seiner Landsleute. Von Kindheit an hätten sie gelernt, Niederlagen mit Würde zu tragen. „Verzicht ist eine unserer volkstümlichen Tugenden, denn mehr als der Glanz des Sieges bewegt uns der Mut zum Missgeschick.“ Den Grund dafür ortet er in einem doppelten Einfluss: dem spanischen und dem indianischen.
Mexiko Bashing
Geld regiert die Welt, auch und besonders in Mexiko. Ein Engländer, der als Sprachlehrer in Mexiko City lebt, erzählt mir, dass mexikanische Bekannte ihm offen gesagt haben, dass sie alles machten was sie wollen. Sei es, auf der Straße Pot zu rauchen oder mit 110 Km/h durch die Stadt zu rasen. Im Fall, dass sie gestellt würden, regle ein Geldschein alles. Für diese Menschen ist Mexiko ein freies Land. Ärmere Leute, die man nach einem Delikt fasst, werden angeblich sogar gefoltert, um sie zu weiteren Geständnissen zu zwingen und so die hohe Rate unaufgeklärter Verbrechen zu senken. (Nachtrag Juli 2016: Soeben war das gewaltsame Erzwingen von Geständnissen, oft von alleinerziehenden Frauen, die ohnehin nicht in das Klischee einer Machogesellschaft passen, Thema in den österreichischen Medien.)
Gonzalo, ein Kleindealer, der Cannabis aus Anbaugebieten in der Provinz nach Mexico City bringt, erzählt mir, dass er schon mit 2,5 Kilogramm von der Polizei erwischt worden ist. Glücklicherweise hatte er auch genügend Bargeld bei sich, so dass er die Angelegenheit an Ort und Stelle regeln konnte und sein Name in keinerlei einschlägigen Akten aufscheint.
Auf Holbox schickt eine Restaurantbetreiberin ihre höchstens zwölfjährige Tochter um eine Besorgung. Als sie verspätet zurückkommt, wird sie von der Mutter schon mit dem Strick in der Hand erwartet, geschlagen und mit Ausdrücken wie „putana“ überhäuft.
Einige Tage später, in Oaxaca, kann ich nicht mehr zusehen und gehe dazwischen, als eine Frau ihren etwa 4-5 jährigen Sohn schlägt und immer wieder brutal gegen die Beine tritt.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen muss es für die Kartenverkäuferinnen im Busbahnhof eine unsägliche Qual sein, eine Auskunft zu geben. Zuerst werde ich, nach meiner Frage, von einer per Fingerzeig an den Nebenschalter verwiesen, da sie offensichtlich nicht glaubte, dass ich ihre Antwort verstehen würde oder zu faul war, überhaupt den Mund aufzumachen. Von der Nachbarin wurde ich wieder an den Schalter der ersten zurückgeschickt, wo ich mich neuerlich anstellen durfte….
Geld regiert die Welt, auch und besonders in Mexiko. Ein Engländer, der als Sprachlehrer in Mexiko City lebt, erzählt mir, dass mexikanische Bekannte ihm offen gesagt haben, dass sie alles machten was sie wollen. Sei es, auf der Straße Pot zu rauchen oder mit 110 Km/h durch die Stadt zu rasen. Im Fall, dass sie gestellt würden, regle ein Geldschein alles. Für diese Menschen ist Mexiko ein freies Land. Ärmere Leute, die man nach einem Delikt fasst, werden angeblich sogar gefoltert, um sie zu weiteren Geständnissen zu zwingen und so die hohe Rate unaufgeklärter Verbrechen zu senken. (Nachtrag Juli 2016: Soeben war das gewaltsame Erzwingen von Geständnissen, oft von alleinerziehenden Frauen, die ohnehin nicht in das Klischee einer Machogesellschaft passen, Thema in den österreichischen Medien.)
Gonzalo, ein Kleindealer, der Cannabis aus Anbaugebieten in der Provinz nach Mexico City bringt, erzählt mir, dass er schon mit 2,5 Kilogramm von der Polizei erwischt worden ist. Glücklicherweise hatte er auch genügend Bargeld bei sich, so dass er die Angelegenheit an Ort und Stelle regeln konnte und sein Name in keinerlei einschlägigen Akten aufscheint.
Auf Holbox schickt eine Restaurantbetreiberin ihre höchstens zwölfjährige Tochter um eine Besorgung. Als sie verspätet zurückkommt, wird sie von der Mutter schon mit dem Strick in der Hand erwartet, geschlagen und mit Ausdrücken wie „putana“ überhäuft.
Einige Tage später, in Oaxaca, kann ich nicht mehr zusehen und gehe dazwischen, als eine Frau ihren etwa 4-5 jährigen Sohn schlägt und immer wieder brutal gegen die Beine tritt.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen muss es für die Kartenverkäuferinnen im Busbahnhof eine unsägliche Qual sein, eine Auskunft zu geben. Zuerst werde ich, nach meiner Frage, von einer per Fingerzeig an den Nebenschalter verwiesen, da sie offensichtlich nicht glaubte, dass ich ihre Antwort verstehen würde oder zu faul war, überhaupt den Mund aufzumachen. Von der Nachbarin wurde ich wieder an den Schalter der ersten zurückgeschickt, wo ich mich neuerlich anstellen durfte….