New York City I (1982)
Herr Lugus, Musiker und Hand Dampf in allen Gassen, den ich aus Graz kenne, hat mir, nach einer ersten Nacht in seiner kleinen Wohnung, ein Zimmer bei Lutze vermittelt. Gut gelegen in Manhattan, in einer großen Altbau Eckwohnung mit hohen Räumen, voll von Plastiken, Installationen und großformatigen Bildern, v.a. im Stil der Neuen Wilden. Und draußen NYC, genauer die Lower East Side: Viele Puertoricaner verbreiten südländisches Flair, noch um 11 Uhr abends singen und johlen Kinder auf der Straße und trommeln auf Töpfen. Die Sirenen der Einsatzfahrzeuge sind Tag und Nacht zu hören. Große weite, laute Welt!
Lutze ist Deutsche, die seit vielen Jahren in Manhattan lebt, selbst Bildhauerin, Plastikerin und gelegentlich auch Schauspielerin („Bildnis einer Trinkerin“ von Ulrike Ottinger). In NYC ist sie offenbar eine wichtige Anlaufstelle für viele andere deutsche Künstler und kulturinteressierte Reisende. Die Kunstwerke in der Wohnung sind, erzählt sie mir, der Mietzins diverser Gäste ihres Hauses. Damit kann ich nicht dienen, aber es ist auch für mich günstiger als in einem Hotel und weit angenehmer.
Eines Nachts komme ich heim und steige im Dunkel auf ein Lebewesen, das, als es meinen Fuß spürt, flüchtet. Ich bin zu Tode erschrocken und mache Licht, kann aber nichts sehen. Am nächsten Tag erfahre ich, dass es in der Wohnung Eidechsen gibt, um der Küchenschaben Herr zu werden, die nachts aus den Abflüssen kriechen.
Bei Lutze treffe ich auch Stefan, einen deutschen Fotografen, der seit einigen Monaten in NYC lebt, von einer Karriere hier träumt, sein Geld aber als Kellner verdient. Wenn er abends sein kleines Apartment verlässt, schaltet er den Fernseher ein um vorzutäuschen, dass jemand zu Hause und ein Einbruch also nicht ratsam sei. Eines Tages kommt er bei Lutze vorbei und sieben Pflaster zieren seinen linken Arm der ganzen Länge nach. Er wollte sich am Vorabend einen Spaß machen und hatte ein Bündel an Spiel-Dollarnoten in die Hemdtasche gesteckt als er ausging. Nachdem er ein Lokal verlassen hatte, verlangten zwei junge Frauen von ihm das Geld und als sie merkten, dass es wertlos war, rächten sie sich mit einem Rasiermesser.
In Brooklyn bei M. übernachtet. Als ich morgens aufwache, blicke ich in einen Innenhof, in dem die Wäsche im Wind flattert. Wie im Süden, denke ich mir. Später gehe ich Gebäck für das Frühstück kaufen. In der Bäckerei wird Italienisch gesprochen.
Wenn ich New York eine Farbe zuweisen müsste, wäre es gelb.