Man (1983)
In Camelle, einem kleinen Fischerdorf an der Costa da Morte, stoßen wir völlig unerwartet auf ein Schild mit der Aufschrift „Museo“. Wir folgen ihm und treffen auf einen Mann aus Süddeutschland, der sich Man nennt und der nach eigenen Angaben seit 23 Jahren in Camelle wohnt. Das tut er offensichtlich als Einsiedler: Lange Haare, ein ebensolcher Bart, braun gegerbt und barfuß und nur mit einer winzigen Badehose bekleidet, lebt er am Ende des Dorfes, am Übergang vom Land ins Meer. Das Ufer ist dort ziemlich flach, aber steinig. Es ist von Kieselsteinen jeglicher Größe und von Felsbrocken, die vom Wasser zu Skulpturen geschliffen wurden, bedeckt.
In diesen natürlichen Steingarten hat Man sein winziges Häuschen gebaut und in dieser Umgebung arbeitet er künstlerisch mit dem was er vorfindet - hauptsächlich mit Steinen. Allerdings bearbeitet er sie nicht mit Hammer und Meißel, sondern er verbindet mit Beton das vorhandene Material zu Skulpturen. Zum Sprung bereite Tiere ducken sich, spitze Türme ragen auf und steinerne Hängebrücken scheinen zu schweben.
Der Eingang zu „seiner Welt“, wie er sie selbst bezeichnet, ist klein und fast rund, verschlossen von einem aus bizarr geformten Ästen und Treibgut gebastelten Gatter. Sein quadratisches Häuschen, zwischen all die gerundeten und geschliffenen Steine gesetzt, empfinde ich beinahe als Störfaktor in dieser Allgegenwart des Abgerundeten und Eckenlosen. Allerdings sind die Außenmauern mit Kreisen und Punkten bemalt, wie auch eine Wand des am nächsten stehenden Nachbarhauses. Die Fenster seiner Behausung sind bunt – rot, gelb, blau – und filtern das Licht. Mir fällt das Wort „Flucht“ ein und auch „Schrebergarten“, und schon sehe ich die Skulpturen als Gartenzwerge. Das Gehirn ist ein Hund!
Auch auf die riesigen natürlichen Felsskulpturen, die bei Ebbe die Grenze zum Meer hin bilden, sind gut sichtbar Kreise und Punkte verschiedener Größe in Weiß, Gelb und Schwarz aufgemalt. Dort finde ich auch einen einzelnen Punkt, von dem ein Sektor fehlt. Doch eine Ecke, aber nach innen gerichtet!
Die gewaltigen, vom Atlantik geformten Felsblöcke erinnern mich an Skulpturen von Henry Moore. Doch die Natur war vor Henry Moore!
Der Drang etwas zu vervollkommnen, oder wenigsten seine Spuren zu hinterlassen. Ich finde diese Felsbemalungen faszinierend, sie sind allerdings nur landeinwärts und nicht auch aufs offene Meer gerichtet. Durch menschliche Symbole in die Natur eingreifen – eingreifen heißt ordnen – und dadurch versuchen, die wilde, ungestüme Natur menschlichen Dimensionen zugänglich zu machen. Ist es das?
Man sagt uns, dass er diese Felsbemalungen nicht mehr mag, dass er sie besser gar nicht gemacht hätte und hofft, sie würden bald verwittern. Die Felsen seien auch so großartig genug. Da gebe ich ihm grundsätzlich Recht, trotzdem gefällt mir die Bemalung, die auf wenige Formen beschränkt ist, auf einfache Signale, die ausgesandt werden: Kreise, die nicht aggressiv sind. Punkte, welche die erträumte Einheit von Natur und Mensch symbolisieren könnten. Gleichzeitig eine Parabel auf das Leben: Das Ausgesetzt-Sein auf den Felsklippen, die Verwitterung und die Vergänglichkeit.
Man hat sich zurückgezogen in seinen kleinen, überschaubaren Steingarten. Er glaubt an eine Serie von aufeinanderfolgenden Wiedergeburten. Sein Körper sei ihm lästig, es sei ihm zu sehr bewusst, sechzig unnötige Kilos herumzuschleppen. Ein Ziel sei, das Nirwana, das Nichts, zu erreichen. Doch dauerhafte Lösung sei das eigentlich auch keine, denn laut den Lehren des Buddhismus halte das Nirwana nicht für ewig. Irgendwann werde man wiedergeboren.
Er schein belesen zu sein, zitiert Schopenhauer, legt Gedanken klar da, widerlegt sie wieder, immer pessimistisch, denn „das Leben ist ein nie enden wollender Alptraum“. Die Ökö-Krise bekümmert ihn, er erkundigt sich nach dem Waldsterben in Österreich und Deutschland und erwartet, ja erhofft fast den ganz großen Krach. Damit alles noch einmal von vorne beginnen und Gott und der Mensch dann die Verantwortung wahrnehmen können. Denn die Natur sei aktuell schlecht organisiert, da Töten zum Überleben notwendig ist. Daher sei auch keine grundsätzliche Besserung des Menschen möglich. Gott hat die Verantwortung auf den Menschen abgeschoben.
Nachtrag: Man starb 2002, wenige Wochen nach einem Tankerunfall vor der Küste Galiziens. Die dadurch ausgelöste Ölpest hatte auch seinen Küstenabschnitt erreicht.
In Camelle, einem kleinen Fischerdorf an der Costa da Morte, stoßen wir völlig unerwartet auf ein Schild mit der Aufschrift „Museo“. Wir folgen ihm und treffen auf einen Mann aus Süddeutschland, der sich Man nennt und der nach eigenen Angaben seit 23 Jahren in Camelle wohnt. Das tut er offensichtlich als Einsiedler: Lange Haare, ein ebensolcher Bart, braun gegerbt und barfuß und nur mit einer winzigen Badehose bekleidet, lebt er am Ende des Dorfes, am Übergang vom Land ins Meer. Das Ufer ist dort ziemlich flach, aber steinig. Es ist von Kieselsteinen jeglicher Größe und von Felsbrocken, die vom Wasser zu Skulpturen geschliffen wurden, bedeckt.
In diesen natürlichen Steingarten hat Man sein winziges Häuschen gebaut und in dieser Umgebung arbeitet er künstlerisch mit dem was er vorfindet - hauptsächlich mit Steinen. Allerdings bearbeitet er sie nicht mit Hammer und Meißel, sondern er verbindet mit Beton das vorhandene Material zu Skulpturen. Zum Sprung bereite Tiere ducken sich, spitze Türme ragen auf und steinerne Hängebrücken scheinen zu schweben.
Der Eingang zu „seiner Welt“, wie er sie selbst bezeichnet, ist klein und fast rund, verschlossen von einem aus bizarr geformten Ästen und Treibgut gebastelten Gatter. Sein quadratisches Häuschen, zwischen all die gerundeten und geschliffenen Steine gesetzt, empfinde ich beinahe als Störfaktor in dieser Allgegenwart des Abgerundeten und Eckenlosen. Allerdings sind die Außenmauern mit Kreisen und Punkten bemalt, wie auch eine Wand des am nächsten stehenden Nachbarhauses. Die Fenster seiner Behausung sind bunt – rot, gelb, blau – und filtern das Licht. Mir fällt das Wort „Flucht“ ein und auch „Schrebergarten“, und schon sehe ich die Skulpturen als Gartenzwerge. Das Gehirn ist ein Hund!
Auch auf die riesigen natürlichen Felsskulpturen, die bei Ebbe die Grenze zum Meer hin bilden, sind gut sichtbar Kreise und Punkte verschiedener Größe in Weiß, Gelb und Schwarz aufgemalt. Dort finde ich auch einen einzelnen Punkt, von dem ein Sektor fehlt. Doch eine Ecke, aber nach innen gerichtet!
Die gewaltigen, vom Atlantik geformten Felsblöcke erinnern mich an Skulpturen von Henry Moore. Doch die Natur war vor Henry Moore!
Der Drang etwas zu vervollkommnen, oder wenigsten seine Spuren zu hinterlassen. Ich finde diese Felsbemalungen faszinierend, sie sind allerdings nur landeinwärts und nicht auch aufs offene Meer gerichtet. Durch menschliche Symbole in die Natur eingreifen – eingreifen heißt ordnen – und dadurch versuchen, die wilde, ungestüme Natur menschlichen Dimensionen zugänglich zu machen. Ist es das?
Man sagt uns, dass er diese Felsbemalungen nicht mehr mag, dass er sie besser gar nicht gemacht hätte und hofft, sie würden bald verwittern. Die Felsen seien auch so großartig genug. Da gebe ich ihm grundsätzlich Recht, trotzdem gefällt mir die Bemalung, die auf wenige Formen beschränkt ist, auf einfache Signale, die ausgesandt werden: Kreise, die nicht aggressiv sind. Punkte, welche die erträumte Einheit von Natur und Mensch symbolisieren könnten. Gleichzeitig eine Parabel auf das Leben: Das Ausgesetzt-Sein auf den Felsklippen, die Verwitterung und die Vergänglichkeit.
Man hat sich zurückgezogen in seinen kleinen, überschaubaren Steingarten. Er glaubt an eine Serie von aufeinanderfolgenden Wiedergeburten. Sein Körper sei ihm lästig, es sei ihm zu sehr bewusst, sechzig unnötige Kilos herumzuschleppen. Ein Ziel sei, das Nirwana, das Nichts, zu erreichen. Doch dauerhafte Lösung sei das eigentlich auch keine, denn laut den Lehren des Buddhismus halte das Nirwana nicht für ewig. Irgendwann werde man wiedergeboren.
Er schein belesen zu sein, zitiert Schopenhauer, legt Gedanken klar da, widerlegt sie wieder, immer pessimistisch, denn „das Leben ist ein nie enden wollender Alptraum“. Die Ökö-Krise bekümmert ihn, er erkundigt sich nach dem Waldsterben in Österreich und Deutschland und erwartet, ja erhofft fast den ganz großen Krach. Damit alles noch einmal von vorne beginnen und Gott und der Mensch dann die Verantwortung wahrnehmen können. Denn die Natur sei aktuell schlecht organisiert, da Töten zum Überleben notwendig ist. Daher sei auch keine grundsätzliche Besserung des Menschen möglich. Gott hat die Verantwortung auf den Menschen abgeschoben.
Nachtrag: Man starb 2002, wenige Wochen nach einem Tankerunfall vor der Küste Galiziens. Die dadurch ausgelöste Ölpest hatte auch seinen Küstenabschnitt erreicht.