USA (1981)
Es war vielleicht nicht die brillanteste Idee, aus New York City wegstoppen zu wollen, aber es war jedenfalls ein ehrgeiziges Vorhaben, das ich nach einem Sonntagvormittag auf der Straße beinahe schon aufgegeben hätte. Dann kam ich doch aus der Stadt raus und schon der zweite Ride brachte mich an mein Tagesziel Washington, DC. Fred bot mir an, dass ich in seiner Wohnung übernachten könne. Bevor er am nächsten Morgen zur Arbeit ging, gab er mir Wohnungsschlüssel und die Telefonnummer seiner Arbeitsstelle, falls ich irgendwelche Probleme hätte. Und das alles aus purer Freundlichkeit und ohne irgendwelche Gegenleistungen zu erwarten.
Das blieb aber nicht das einzige Mal, dass ich von eigentlich wildfremden Menschen zu sich nach Hause eingeladen wurde. Ich bin dabei einer großen Offenheit, Neugier und Hilfsbereitschaft begegnet. Profitiert habe ich dabei sicher vom „Exoten-Bonus“ des trampenden Europäers. Nicht ganz ohne Hintergedanken hatte ich die österreichische Flagge samt Schriftzug „Austria“ gut sichtbar am Rucksack platziert. Und mehr als einmal wurde mir gesagt, dass sie einen amerikanischen Autostopper nicht mitnehmen würden. Ein Amerikaner ohne Auto scheint von vornherein suspekt zu sein.
Auf der Suche nach Lake Mary
Irgendwo hatte ich gelesen, dass Lake Mary, ein ehemaliger Seitenarm des Mississippi, besonders schön und urig sein sollte. Ich habe eine ungefähre Beschreibung davon, wo er sein soll, etwa 20 Meilen westlich von Woodville in Mississippi, und mache ich mich auf den Weg dahin. Als ich mich in der Nähe wähne, bastle ich ein Schild mit der Aufschrift „Lake Mary“. Da wo ich am Straßenrand stehe, kommen nicht allzu viele Autos vorbei. Ein paar bleiben stehen um mir zu sagen, dass sie keinen Lake Mary kennen. Es ist schon später Nachmittag, als ein junger Mann, Mark, stoppt, um mir zu sagen, dass er zwar Lake Mary nicht kenne – er sei allerdings hier nur zu Besuch bei seinem Großvater , um sich ein wenig um dessen Pferde zu kümmern – dass ich aber gerne mitkommen könne um ihm dabei zu helfen.
Am nächsten Morgen fahren wir einige Meilen zum Gelände, wo die beiden Pferde untergebracht sind. Es gibt dort ein kleines, heruntergekommenes Haus, in dem ein Mann wohnt und wo wir uns einen Kübel mit Getreide holen, um die Pferde von der riesigen Weide zu locken. Nach dem Striegeln satteln wir sie und reiten los, querfeldein. Mark voran, mit der Machete in der Hand, um dann und wann den Weg von Ranken und Dornen freizumachen. Ich habe genug damit zu tun, mich im Sattel zu halten, wenn es zwischendurch einmal im Galopp dahingeht. Trotzdem fühle ich mich als richtiger Abenteurer, fast wie im wilden Westen!
Am Tag darauf finde ich doch noch jemanden, der zum Lake Mary fährt. Er nimmt mich nicht nur mit, sondern lädt mich auch gleich ein, doch bei ihm zu wohnen. Über eine Sandstraße kommen wir zum Haus, das auf Stelzen steht, und dessen Erdgeschoss zwar zum Kochen und Essen benutzt wird, aber Fluchtzone ist und bei steigendem Wasserspiegel rasch geräumt werden kann. Die Frau von Bill scheint nicht allzu begeistert von meinem Besuch zu sein, doch ich verbringe mit ihm ein paar entspannte Tage mit Trike fahren im Sand, Fischen am See, Grillen und Bier trinken auf der Terrasse. Redneck eben.
Texas
Als der Typ, der mich beim Autostoppen mitgenommen hatte, nach ein paar Meilen auf der Stadtautobahn von Houston gleich wieder stoppt und mich zum Aussteigen auffordert, bin ich zuerst nur verärgert. Als er aber, kaum dass ich die Füße auf dem Boden habe, mit meinem Gepäck, das noch im Wagen war, wegfährt und nur noch kurz stoppt, um die Beifahrertür zu schließen, bin ich richtig wütend! Da stand ich nun am Straßenrand, mit kurzer Hose, T-Shirt und Sandalen, ohne Rucksack und Schlafsack und nur mehr einem Teil meines Reisegeldes. Die Kameratasche hatte ich glücklicherweise nicht aus der Hand gegeben. Die bis dahin belichteten Filme waren allerdings im Rucksack.
Auf der Polizeistation, wohin mich freundliche Passanten bringen, möchte ich den Vorfall zur Anzeige bringen. Nach meiner Schilderung sagt der Polizist nur: „I should fine you fifty bucks, it’s forbidden to hitchhike in Houston.“ Das steigert meine Stimmung nicht sehr!
Auf Quartiersuche wende ich mich zuerst an das YMCA, also den Christlichen Verein Junger Menschen, da deren Herbergen gut und vor allem günstig sein sollen. Die Lobby ist bevölkert von Menschen, von denen kaum jemand jünger als siebzig ist und ich bekomme keinen Platz.
Schließlich finde ich in einer etwas heruntergekommenen Gegend ein relativ günstiges Hotel. Dafür sind die Türen nur aus dünnen Spanplatten mit breiten Spalten unten und ein Käfer flüchtet über das Bett, als ich das Zimmer betrete. Der Portier hat hinter dem Tresen einen Revolver liegen, den er mir auch gleich beim Einchecken zeigt. Als ich später weggehe und ihn um einen Stadtplan bitte, erklärt er mir unaufgefordert die Route für den Heimweg: „Das ist der kürzeste Weg, den nimmst du nicht, they might kill you. Das ist der zweitkürzeste, den nimmst du besser auch nicht. Nimm diesen, der ist zwar um einiges weiter, aber da kommst du sicher heim.“
Im Outdoorladen überlege ich lange, ob ich den billigsten Rucksack oder doch den besser ausgeführten nehmen soll. Ich entscheide mich für den besseren, gehe damit zur Kassa und bin überrascht, als ich nur den Preis des günstigsten Modells zahle. Ich hatte, ohne es zu bemerken, die Verpackungen vertauscht. Ich sage nichts und akzeptiere die Differenz als kleine Rückzahlung des Schicksals.
Das Zentrum von Houston ist von glänzenden Bürogebäuden geprägt. Zwischen den üblich gekleideten Geschäftsleuten gibt es einige, die zum Anzug Cowboystiefel und eine dünne Cowboykrawatte mit Brosche tragen, dazu einen Stetson. Ich kenne das Outfit aus Filmen, bin aber doch überrascht, es tatsächlich auf der Straße zu finden. Warum eigentlich? Die Texaner haben halt auch ihren „Steireranzug“.
In Schulenburg, einem kleinen Nest, versuche ich mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, aber die starren mich nur blöd an, so als ob ich von einem fremden Stern käme. Bevor ich im Park einen Schlafplatz suche, gehe ich noch auf ein Bier in die Bowling Halle. Dort lerne ich Leute deutscher und tschechischer Abstammung kennen, die mit mir über Europa plaudern möchten und mich mit Bier und Pizza versorgen. Angenehm, nachdem ich zuletzt hauptsächlich Cornchips gegessen hatte. Später nimmt mich ein älteres Ehepaar mit in ihr Haus zum Übernachten („Die Kinder sind ausgezogen, wir haben genug Platz.“) und sie bringen mich am nächsten Tag, nach einem ausgiebigen Frühstück, auch auf den Freeway zum Weiterstoppen.
Die letzten 50 Meilen nach San Antonio erwische ich einen Fahrer, der offenbar zu viel getrunken hat. Zuerst möchte er mir unbedingt sein Auto verkaufen, als ich ablehne, hätte er gerne wenigstens Benzingeld. Er erzählt mir, dass er gerade aus dem Gefängnis kommt –wo er wegen Trunkenheit am Steuer einsaß.
New Mexico
Die Altstadt von Albuquerque quillt über vor Souveniergeschäften und indianischem Kunsthandwerk. Ich kann bei Bekannten wohnen und wir machen einen Ausflug in die Gegend nördlich der Stadt. Die Landschaft wechselt innerhalb weniger Meilen von Wüste zu Alm. Wir sind für meinen Geschmack zu schnell unterwegs, aber ich bin schließlich in Amerika. Es nimmt sich auch kaum jemand Zeit zum Essen und Trinken, das geschieht meist unterwegs im Auto.
Ich muss versuchen, Geld zu verdienen und lasse mich am Morgen zu einem riesigen Lager von American Groceries bringen, wo es Arbeit beim Entladen der LKW’s geben soll. Als ich ankomme, wartet schon eine ganze Schar an Männern, einige sind mit ihren Autos dort, in denen sie auch wohnen. Einer erzählt mir, dass er schon seit vier Tagen keine Arbeit mehr hat, auch diesmal geht er ohne. Wenn man Arbeit bekommt, ist die Bezahlung ok: $1 pro 1.000 Pfund, also rund $40 für einen LKW, den man in 3-5 Stunden schaffen kann. Ja, wenn man Arbeit hat… Die meisten der Wartenden haben schon vorher Vereinbarungen mit „ihren“ Fahrern getroffen, oft über CB-Funk. Ich beschließe, am nächsten Tag abzuhauen und mein Glück woanders zu versuchen, ich habe noch ca. $100.
New Mexico ist das Atomzentrum der USA, hier wurde in White Sands die erste Atombombe gezündet. Es gibt ein Atommuseum und im Prospekt wird damit geworben, die vollständigste Atomwaffensammlung der Welt zu besitzen!
Die meisten Amerikaner sind sehr stolz auf ihr Land und mehr als einmal erklärt man mir, dass die USA das einzige Land seien, in dem man leben könne – auch wenn sie selber noch nie darüber hinausgekommen sind.
Die Angst vor dem Kommunismus, vor allem vor Russland ist präsent. Immer wieder werde ich gefragt, ob Österreich nahe der UDSSR liege und ob wir denn keine Angst vor den Russen hätten. Einige Male wurde mir auch erklärt, dass Russland es sehr schwer haben würde, Amerika zu erobern, da alle Amerikaner gut bewaffnet seien. Angeblich besitzt im Durchschnitt jede amerikanische Familie vier Feuerwaffen.
Nach etwa zwei Stunden Warten in wüstenähnlichem Gebiet und einem Regenguss nimmt mich ein Indianer, der sich als George Joe vorstellt, mit. Nach den üblichen Fragen nach dem Woher und dem Wohin redet vom Landraub der Weißen und dass kein Friede herrsche und er auf Grund eines Traumes nach Israel auswandern wolle, dort sei seine richtige Heimat. Für die Mormonen sind die Indianer direkte Nachkommen der Stämme Israels und darauf bezieht er sich wohl. Er wirkt etwas wirr und ich vermute, dass er auch betrunken ist. Zum Abschied schenkt er mir eine Halskette und ein Jesus-Comic gegen das Versprechen, ihm ein Bild zu schicken.
Am Weg von Mesa Verde nach Taos werde ich erstmals beim Autostoppen von einer Frau mitgenommen.
Die Amerikaner essen und trinken nicht nur im Auto, sie rollen sich sogar den Joint während der Fahrt. Automatikgetriebe und schnurgerade Straßen machen es möglich.
In Taos ist Fiesta, aber es regnet und ich bin versucht, trotz meiner miserablen finanziellen Situation in ein Motel zu gehen. Zum Glück lerne ich rechtzeitig einige nette junge Amerikaner kennen und wir fahren gemeinsam zu heißen Quellen nach Arroyo Hondo, etwas außerhalb von Taos, die John, einer aus der Gruppe, kennt. Während wir baden hört es auf zu regnen, die Sterne kommen heraus und wir können im Freien schlafen.
Zusammen mit John mache ich mich auf den Weg nach Santa Fe. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit bleibt eine Frau stehen, um uns mitzunehmen, heißt uns aber auf halbem Weg wieder auszusteigen, nachdem ich angemerkt hatte, dass die Frauen im Südwesten offenbar furchtloser sind als anderswo. Ich habe das als scherzhaftes Kompliment gedacht, aber sie hatte offensichtlich keinen Sinn dafür sondern entgegnete: „Wir sind nicht furchtloser, aber wir wissen uns zu verteidigen – be friendly!“ Und um ihre Sicherheit brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Mein Reisegefährte und ich lachen, als wir wieder auf der Straße stehen, besonders, weil bald darauf zwei Frauen stehen bleiben.
Viele Deutsche in Santa Fe, es regnet scheußlich und wir nehmen schließlich notgedrungen ein Zimmer. Als der Nachtportier den $50 Reisescheck nicht wechseln kann, wissen wir, dass wir am nächsten Morgen wohl zu zahlen vergessen würden. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Wolkenbruch in Alamogordo. Beim Einkaufen komme ich mit Inge aus Deutschland ins Gespräch, die schon seit vier Jahren hier lebt „ohne jemals Heimweh gehabt zu haben“.
In White Sands lädt mich ein Collegelehrer, der mit seinem Chor schon mehrere Male in Österreich war, zum Familienpicknick ein. Er verabschiedet sich mit einer $10-Note und einem „I don’t like it, that somebody took your money!“
Nach der dritten Nacht in Folge im Freien – ich hätte die kläffenden Köter erwürgen mögen! – zurück zum Campingplatz um zu duschen und Wäsche zu waschen. Dabei lerne ich eine Frau kennen, die mit ihrer Familie im Wohnwagen Richtung Grand Canyon unterwegs ist. Sie laden mich ein mitzukommen und ich nehme an. Kaum im Auto, bereue ich schon, auf eine Familienreise zu gehen und meine – wenn auch beschränkte – Freiheit aufzugeben. Aber ich gewöhne mich irgendwie daran, jetzt als klassischer Tourist, der ich natürlich! nicht sein möchte, unterwegs zu sein: Jeweils kurzer Stopp beim Three River Petroglyphe Site, wo tausende Figuren und Symbole in präkolumbianischer Zeit in die Felsen geritzt wurden und beim Valley of Fire, einem 40 Meilen langen Lavastrom. Wir waren dort! Dabei sind sie wirklich nett, bezahlen auch meine Campinggebühr in Socorro und laden mich auf das Abendessen ein.
Es war vielleicht nicht die brillanteste Idee, aus New York City wegstoppen zu wollen, aber es war jedenfalls ein ehrgeiziges Vorhaben, das ich nach einem Sonntagvormittag auf der Straße beinahe schon aufgegeben hätte. Dann kam ich doch aus der Stadt raus und schon der zweite Ride brachte mich an mein Tagesziel Washington, DC. Fred bot mir an, dass ich in seiner Wohnung übernachten könne. Bevor er am nächsten Morgen zur Arbeit ging, gab er mir Wohnungsschlüssel und die Telefonnummer seiner Arbeitsstelle, falls ich irgendwelche Probleme hätte. Und das alles aus purer Freundlichkeit und ohne irgendwelche Gegenleistungen zu erwarten.
Das blieb aber nicht das einzige Mal, dass ich von eigentlich wildfremden Menschen zu sich nach Hause eingeladen wurde. Ich bin dabei einer großen Offenheit, Neugier und Hilfsbereitschaft begegnet. Profitiert habe ich dabei sicher vom „Exoten-Bonus“ des trampenden Europäers. Nicht ganz ohne Hintergedanken hatte ich die österreichische Flagge samt Schriftzug „Austria“ gut sichtbar am Rucksack platziert. Und mehr als einmal wurde mir gesagt, dass sie einen amerikanischen Autostopper nicht mitnehmen würden. Ein Amerikaner ohne Auto scheint von vornherein suspekt zu sein.
Auf der Suche nach Lake Mary
Irgendwo hatte ich gelesen, dass Lake Mary, ein ehemaliger Seitenarm des Mississippi, besonders schön und urig sein sollte. Ich habe eine ungefähre Beschreibung davon, wo er sein soll, etwa 20 Meilen westlich von Woodville in Mississippi, und mache ich mich auf den Weg dahin. Als ich mich in der Nähe wähne, bastle ich ein Schild mit der Aufschrift „Lake Mary“. Da wo ich am Straßenrand stehe, kommen nicht allzu viele Autos vorbei. Ein paar bleiben stehen um mir zu sagen, dass sie keinen Lake Mary kennen. Es ist schon später Nachmittag, als ein junger Mann, Mark, stoppt, um mir zu sagen, dass er zwar Lake Mary nicht kenne – er sei allerdings hier nur zu Besuch bei seinem Großvater , um sich ein wenig um dessen Pferde zu kümmern – dass ich aber gerne mitkommen könne um ihm dabei zu helfen.
Am nächsten Morgen fahren wir einige Meilen zum Gelände, wo die beiden Pferde untergebracht sind. Es gibt dort ein kleines, heruntergekommenes Haus, in dem ein Mann wohnt und wo wir uns einen Kübel mit Getreide holen, um die Pferde von der riesigen Weide zu locken. Nach dem Striegeln satteln wir sie und reiten los, querfeldein. Mark voran, mit der Machete in der Hand, um dann und wann den Weg von Ranken und Dornen freizumachen. Ich habe genug damit zu tun, mich im Sattel zu halten, wenn es zwischendurch einmal im Galopp dahingeht. Trotzdem fühle ich mich als richtiger Abenteurer, fast wie im wilden Westen!
Am Tag darauf finde ich doch noch jemanden, der zum Lake Mary fährt. Er nimmt mich nicht nur mit, sondern lädt mich auch gleich ein, doch bei ihm zu wohnen. Über eine Sandstraße kommen wir zum Haus, das auf Stelzen steht, und dessen Erdgeschoss zwar zum Kochen und Essen benutzt wird, aber Fluchtzone ist und bei steigendem Wasserspiegel rasch geräumt werden kann. Die Frau von Bill scheint nicht allzu begeistert von meinem Besuch zu sein, doch ich verbringe mit ihm ein paar entspannte Tage mit Trike fahren im Sand, Fischen am See, Grillen und Bier trinken auf der Terrasse. Redneck eben.
Texas
Als der Typ, der mich beim Autostoppen mitgenommen hatte, nach ein paar Meilen auf der Stadtautobahn von Houston gleich wieder stoppt und mich zum Aussteigen auffordert, bin ich zuerst nur verärgert. Als er aber, kaum dass ich die Füße auf dem Boden habe, mit meinem Gepäck, das noch im Wagen war, wegfährt und nur noch kurz stoppt, um die Beifahrertür zu schließen, bin ich richtig wütend! Da stand ich nun am Straßenrand, mit kurzer Hose, T-Shirt und Sandalen, ohne Rucksack und Schlafsack und nur mehr einem Teil meines Reisegeldes. Die Kameratasche hatte ich glücklicherweise nicht aus der Hand gegeben. Die bis dahin belichteten Filme waren allerdings im Rucksack.
Auf der Polizeistation, wohin mich freundliche Passanten bringen, möchte ich den Vorfall zur Anzeige bringen. Nach meiner Schilderung sagt der Polizist nur: „I should fine you fifty bucks, it’s forbidden to hitchhike in Houston.“ Das steigert meine Stimmung nicht sehr!
Auf Quartiersuche wende ich mich zuerst an das YMCA, also den Christlichen Verein Junger Menschen, da deren Herbergen gut und vor allem günstig sein sollen. Die Lobby ist bevölkert von Menschen, von denen kaum jemand jünger als siebzig ist und ich bekomme keinen Platz.
Schließlich finde ich in einer etwas heruntergekommenen Gegend ein relativ günstiges Hotel. Dafür sind die Türen nur aus dünnen Spanplatten mit breiten Spalten unten und ein Käfer flüchtet über das Bett, als ich das Zimmer betrete. Der Portier hat hinter dem Tresen einen Revolver liegen, den er mir auch gleich beim Einchecken zeigt. Als ich später weggehe und ihn um einen Stadtplan bitte, erklärt er mir unaufgefordert die Route für den Heimweg: „Das ist der kürzeste Weg, den nimmst du nicht, they might kill you. Das ist der zweitkürzeste, den nimmst du besser auch nicht. Nimm diesen, der ist zwar um einiges weiter, aber da kommst du sicher heim.“
Im Outdoorladen überlege ich lange, ob ich den billigsten Rucksack oder doch den besser ausgeführten nehmen soll. Ich entscheide mich für den besseren, gehe damit zur Kassa und bin überrascht, als ich nur den Preis des günstigsten Modells zahle. Ich hatte, ohne es zu bemerken, die Verpackungen vertauscht. Ich sage nichts und akzeptiere die Differenz als kleine Rückzahlung des Schicksals.
Das Zentrum von Houston ist von glänzenden Bürogebäuden geprägt. Zwischen den üblich gekleideten Geschäftsleuten gibt es einige, die zum Anzug Cowboystiefel und eine dünne Cowboykrawatte mit Brosche tragen, dazu einen Stetson. Ich kenne das Outfit aus Filmen, bin aber doch überrascht, es tatsächlich auf der Straße zu finden. Warum eigentlich? Die Texaner haben halt auch ihren „Steireranzug“.
In Schulenburg, einem kleinen Nest, versuche ich mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, aber die starren mich nur blöd an, so als ob ich von einem fremden Stern käme. Bevor ich im Park einen Schlafplatz suche, gehe ich noch auf ein Bier in die Bowling Halle. Dort lerne ich Leute deutscher und tschechischer Abstammung kennen, die mit mir über Europa plaudern möchten und mich mit Bier und Pizza versorgen. Angenehm, nachdem ich zuletzt hauptsächlich Cornchips gegessen hatte. Später nimmt mich ein älteres Ehepaar mit in ihr Haus zum Übernachten („Die Kinder sind ausgezogen, wir haben genug Platz.“) und sie bringen mich am nächsten Tag, nach einem ausgiebigen Frühstück, auch auf den Freeway zum Weiterstoppen.
Die letzten 50 Meilen nach San Antonio erwische ich einen Fahrer, der offenbar zu viel getrunken hat. Zuerst möchte er mir unbedingt sein Auto verkaufen, als ich ablehne, hätte er gerne wenigstens Benzingeld. Er erzählt mir, dass er gerade aus dem Gefängnis kommt –wo er wegen Trunkenheit am Steuer einsaß.
New Mexico
Die Altstadt von Albuquerque quillt über vor Souveniergeschäften und indianischem Kunsthandwerk. Ich kann bei Bekannten wohnen und wir machen einen Ausflug in die Gegend nördlich der Stadt. Die Landschaft wechselt innerhalb weniger Meilen von Wüste zu Alm. Wir sind für meinen Geschmack zu schnell unterwegs, aber ich bin schließlich in Amerika. Es nimmt sich auch kaum jemand Zeit zum Essen und Trinken, das geschieht meist unterwegs im Auto.
Ich muss versuchen, Geld zu verdienen und lasse mich am Morgen zu einem riesigen Lager von American Groceries bringen, wo es Arbeit beim Entladen der LKW’s geben soll. Als ich ankomme, wartet schon eine ganze Schar an Männern, einige sind mit ihren Autos dort, in denen sie auch wohnen. Einer erzählt mir, dass er schon seit vier Tagen keine Arbeit mehr hat, auch diesmal geht er ohne. Wenn man Arbeit bekommt, ist die Bezahlung ok: $1 pro 1.000 Pfund, also rund $40 für einen LKW, den man in 3-5 Stunden schaffen kann. Ja, wenn man Arbeit hat… Die meisten der Wartenden haben schon vorher Vereinbarungen mit „ihren“ Fahrern getroffen, oft über CB-Funk. Ich beschließe, am nächsten Tag abzuhauen und mein Glück woanders zu versuchen, ich habe noch ca. $100.
New Mexico ist das Atomzentrum der USA, hier wurde in White Sands die erste Atombombe gezündet. Es gibt ein Atommuseum und im Prospekt wird damit geworben, die vollständigste Atomwaffensammlung der Welt zu besitzen!
Die meisten Amerikaner sind sehr stolz auf ihr Land und mehr als einmal erklärt man mir, dass die USA das einzige Land seien, in dem man leben könne – auch wenn sie selber noch nie darüber hinausgekommen sind.
Die Angst vor dem Kommunismus, vor allem vor Russland ist präsent. Immer wieder werde ich gefragt, ob Österreich nahe der UDSSR liege und ob wir denn keine Angst vor den Russen hätten. Einige Male wurde mir auch erklärt, dass Russland es sehr schwer haben würde, Amerika zu erobern, da alle Amerikaner gut bewaffnet seien. Angeblich besitzt im Durchschnitt jede amerikanische Familie vier Feuerwaffen.
Nach etwa zwei Stunden Warten in wüstenähnlichem Gebiet und einem Regenguss nimmt mich ein Indianer, der sich als George Joe vorstellt, mit. Nach den üblichen Fragen nach dem Woher und dem Wohin redet vom Landraub der Weißen und dass kein Friede herrsche und er auf Grund eines Traumes nach Israel auswandern wolle, dort sei seine richtige Heimat. Für die Mormonen sind die Indianer direkte Nachkommen der Stämme Israels und darauf bezieht er sich wohl. Er wirkt etwas wirr und ich vermute, dass er auch betrunken ist. Zum Abschied schenkt er mir eine Halskette und ein Jesus-Comic gegen das Versprechen, ihm ein Bild zu schicken.
Am Weg von Mesa Verde nach Taos werde ich erstmals beim Autostoppen von einer Frau mitgenommen.
Die Amerikaner essen und trinken nicht nur im Auto, sie rollen sich sogar den Joint während der Fahrt. Automatikgetriebe und schnurgerade Straßen machen es möglich.
In Taos ist Fiesta, aber es regnet und ich bin versucht, trotz meiner miserablen finanziellen Situation in ein Motel zu gehen. Zum Glück lerne ich rechtzeitig einige nette junge Amerikaner kennen und wir fahren gemeinsam zu heißen Quellen nach Arroyo Hondo, etwas außerhalb von Taos, die John, einer aus der Gruppe, kennt. Während wir baden hört es auf zu regnen, die Sterne kommen heraus und wir können im Freien schlafen.
Zusammen mit John mache ich mich auf den Weg nach Santa Fe. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit bleibt eine Frau stehen, um uns mitzunehmen, heißt uns aber auf halbem Weg wieder auszusteigen, nachdem ich angemerkt hatte, dass die Frauen im Südwesten offenbar furchtloser sind als anderswo. Ich habe das als scherzhaftes Kompliment gedacht, aber sie hatte offensichtlich keinen Sinn dafür sondern entgegnete: „Wir sind nicht furchtloser, aber wir wissen uns zu verteidigen – be friendly!“ Und um ihre Sicherheit brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Mein Reisegefährte und ich lachen, als wir wieder auf der Straße stehen, besonders, weil bald darauf zwei Frauen stehen bleiben.
Viele Deutsche in Santa Fe, es regnet scheußlich und wir nehmen schließlich notgedrungen ein Zimmer. Als der Nachtportier den $50 Reisescheck nicht wechseln kann, wissen wir, dass wir am nächsten Morgen wohl zu zahlen vergessen würden. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Wolkenbruch in Alamogordo. Beim Einkaufen komme ich mit Inge aus Deutschland ins Gespräch, die schon seit vier Jahren hier lebt „ohne jemals Heimweh gehabt zu haben“.
In White Sands lädt mich ein Collegelehrer, der mit seinem Chor schon mehrere Male in Österreich war, zum Familienpicknick ein. Er verabschiedet sich mit einer $10-Note und einem „I don’t like it, that somebody took your money!“
Nach der dritten Nacht in Folge im Freien – ich hätte die kläffenden Köter erwürgen mögen! – zurück zum Campingplatz um zu duschen und Wäsche zu waschen. Dabei lerne ich eine Frau kennen, die mit ihrer Familie im Wohnwagen Richtung Grand Canyon unterwegs ist. Sie laden mich ein mitzukommen und ich nehme an. Kaum im Auto, bereue ich schon, auf eine Familienreise zu gehen und meine – wenn auch beschränkte – Freiheit aufzugeben. Aber ich gewöhne mich irgendwie daran, jetzt als klassischer Tourist, der ich natürlich! nicht sein möchte, unterwegs zu sein: Jeweils kurzer Stopp beim Three River Petroglyphe Site, wo tausende Figuren und Symbole in präkolumbianischer Zeit in die Felsen geritzt wurden und beim Valley of Fire, einem 40 Meilen langen Lavastrom. Wir waren dort! Dabei sind sie wirklich nett, bezahlen auch meine Campinggebühr in Socorro und laden mich auf das Abendessen ein.